Der Weg

Statt einem Early Morning Call war es eine Early Morning Wandersession mit meinem Coachee durch die Weinberge.

Gestern.

Für mich finde ich in dieser zunehmend-chaotisch-werdenden Welt auf einem Wanderweg vor allem Orientierung. Alles Komplizierte wird (nach-und-nach) einfach.

Klar definierter Start- und Endpunkt, dazwischen heisst es auf-dem-Weg-zu-bleiben bzw. wieder auf den Weg zu kommen. Wie wir alle wissen, lernen wir auch durch Umwege die Gegend kennen und schöpfen aus den kleinen und großen Abenteuern Selbstvertrauen.

Für mich gleicht diese Einfachheit einem Versprechen.

Wandern ist für mich selbst Essenz. Wirkt befreiend. Mit jedem Schritt spüre ich wie sich meine unkontrollierten Gedankenkapriolen „auflösen“ und ich (wieder) in die bewusstere Selbstbestimmung gehe. Ich wahrnehme, dass ich auf mich selbst angewiesen bin.

Ich wählte den Weg vom Büro zur Michaeliskapelle „Monte sancti Michaelis“, der komplett durch unsere Kleinstadt führte, weiter zum römischen Weingut Weilberg in Ungstein (bei Bad Dürkheim) und zurück. Die einzelnen Hügel hoch und runter:

Kurz-aus-dem-Atem-kommen, stehen bleiben und das Licht, die Weitsicht in sich aufnehmen, auf den zurückliegenden Weg blicken…

Aus den Gesprächen kenne ich grob seine Highlights, Wendepunkte und Niederlagen, die ihn letztendlich weiterbrachten. Gerade im großen Feld der Führung. Und dies brachte ich mit dem Weg in Einklang. Er ging mit seinen Ressourcen in Resonanz…

Dieser bemerkenswerte Morgen erinnerte mich an einen Satz von John Updike:

"Die Erde besteht aus vielen Welten,
die sich nur für Augenblicke überschneiden"

Wenn ich dieses nicht-für-mich-erfassbare-Ausmaß der Erde in einem Zug durchschreiten könnte, würden mich die unbeschreiblichen und unglaublichen (sehen Sie mir die Dramatik bitte nach) Facetten der einzigartigen (Öko-)Systeme, Topografien und Kulturen sprachlos machen.

Unendliche Evolution. Dieses leidenschaftliche Auftauchen der mannigfaltigen Formen ist in meiner Welt wie das Leben selbst. Gleich, ob es sich um die trockenen Wüsten des Wadi Rum in Jordanien handelt, den wildesten Wucherungen der Natur an der Na-Pali-Küste Hawaii (es ist sinnbildlich das Reich unserer blühenden Phantasie…).

Zusammengehalten werden die unterschiedlichsten Regionen der Erde durch aber-tausende Wege, die durch Landschaften und ganze Kontinente führen und „so“ einen Zusammenhang zwischen ihnen herstellen.

Gerade beim Schreiben über das gestrige Erleben fühle ich wieder einmal, welche (enorme) Dimensionen in dem schlichten Wort „Weg“ verborgen liegt.

Moderne Wanderwege stehen den ur-alten, bis in die Antike zurückreichende Handelswege  gegenüber. Wege über einen zugefrorenen Fluss und durch einen nicht zugefrorenen Fluss. Es gibt Klettersteige und Pilgerwege. Wege von Salzbecken, die unter dem Meeresspiegel liegen bis zu den Spitzen des Himalaya. Vorbei an geschäftigen Dörfern und Geisterstädten.

Zusammen-genommen stehen all diese Wege, die wir in unserem Leben gegangen sind, für unsere Neugierde und unseren Mut, Ungeahntes zu entdecken. Wieder-auf-zustehen. Zu reflektieren und zu lernen. Zu verändern. Offen zu sein. Für unsere Tagträume. Für die Monumente unseres ureigensten Forscherdrangs.

Das Wort „Weg“ gibt uns das Gefühl einer klaren und fortdauernden Struktur. Was die meisten Wege nicht besitzen, oder? Manche Wege werden von der Natur selbst erschaffen, andere sind künstlich angelegt. Im Laufe der Jahre kann sich sowohl die Strecke als auch die Rolle des Weges verändern, so dass nur noch Anekdoten an den ursprünglichen Weg erinnern.

Wege vergehen und können in anderer „Form“ wieder neu entstehen.

Welcome as you are.

ps. Nein, ich war noch nicht auf den o. g. Wegen unterwegs. Sie gehören zu meinen Sehnsuchtszielen…

photo@lane jackman
Sabine Steigner - rendezvous der lösungen